Haustierboom zu Coronazeiten und die Folgen

Seit dem 01. November finden bei mir keine Hundeschulgruppen mehr statt, seit dem 14. Dezember ist auch das Einzeltraining eingestellt. Das sind nunmehr 8 Wochen ohne Hundetraining und mindestens die nächsten 2 Wochen bleibt das auch noch so bestehen; ggf. sogar noch länger, wenn die Vorgaben verlängert/nicht gelockert werden. Gleichzeitig boomt aber der Welpenabsatz und die Neuanschaffung von Hunden. Warum das so ist und warum diese Entwicklung von vielen Hundetrainern und Tierschützern mit Sorge beobachtet wird, darum soll es im heutigen Beitrag gehen.

Warum der Haustierboom zu Coronazeiten?

Warum schaffen sich Menschen seit der Pandemie vermehrt Tiere an? Ich denke, das hat mehrere Gründe. Zum einen verbringt man durch HomeOffice und durch die bestehenden Schließungen von Restaurants, Kinos, Theatern und Co. viel mehr Zeit zu Hause, und vielleicht war ein Grund *gegen* ein Haustier bisher, dass man neben der Arbeit nicht genug Zeit gehabt hätte. Auch um Urlaubsunterbringung braucht man sich momentan nicht kümmern, weil man sowieso keinen Urlaub planen kann.
Ein weiterer Grund dürfte wahrscheinlich die Angst oder Sorge vor der sozialen Isolation sein. Man kann sich weniger mit Freunden treffen, selbst Treffen innerhalb des Familienkreises sind unter Umständen nicht möglich oder mit Auflagen verbunden. Besonders wenn man allein lebt und wenig soziale Kontakte hat, wird man also sehr schnell sehr einsam sein. Dass das Zermürben kann in dieser trostlosen Zeit steht außer Frage. Auch aus diesen Gründen wurden und werden Tiere angeschafft.

Und schlussendlich gibt es auch noch die (begründete?) Sorge darüber, dass irgendwann ähnliche Verordnungen drohen wie in anderen Ländern mit strikten Ausgangsverboten. In einigen Ländern ist das Ausführen von Hunden explizit als „triftiger“ Grund dafür aufgeführt, dass man seine Wohnung bzw. sein Haus verlassen darf, auch während eines totalen Lockdowns. Ob es mal soweit in Deutschland kommt, kann nur vermutet werden. Wer jetzt die fixe Idee hat, dass dieser Grund auch während einer angeordneten Quarantäne als triftiger Grund zum Verlassen der Wohnung gilt, den muss ich enttäuschen; in solchen Fällen muss man andere Lösungen finden, z.B. einen Gassi-Service mit kontaktloser Übergabe oder die übergangsweise Unterbringung des Hundes in einer Hundepension oder einem Tierheim.

Schlussendlich ist es aber egal, aus welchem dieser Gründe gerade Tiere angeschafft werden. Dass diese vermehrte Aufnahme von Tieren stattfindet, lässt sich mit explodierenden Hundesteuer-Einnahmen der Kommunen im Jahr 2020 belegen. Und auch Züchter verschiedenster Tiere und Rassen berichten, dass die Nachfrage nach einem Tier höher ist, als das Angebot. Kuriose Blüten treibt das Ganze dann auf den Kleinanzeigenportalen. Während man hier im Umkreis von 50 km noch relativ wenige Angebote hat, findet man gleichzeitig diverse Gesuche nach Hunden. Erweitert man den Umkreis auf 100 km findet man dort Gesuche und Angebote mit Preisen zum Teil im vierstelligen Bereich – selbst für Mischlingswelpen.

Warum speziell der Hundeboom ein Problem ist

Nun mag es erst einmal toll erscheinen, dass viele Hunde und andere Tiere gerade sehr gute Chancen auf ein neues zu Hause haben. Selbst schwer zu vermittelnde Tiere finden ein neues zu Hause (besser ein problematisches Tier als gar kein Tier scheint bei manchem die Devise zu sein). Und ja, auf den ersten Blick klingt das nicht verkehrt. Doch es gibt bei einer so kurzfristigen Tieranschaffung mehrere Probleme: Zum einem ist dem Tier egal, welche Sorgen und Probleme wir Menschen gerade haben; es ist ihm egal, dass es uns die Zeit der Lockdowns versüßen und die negativen Gedanken vertreiben soll. Dennoch hat aber jedes Tier auch unabhängig von Corona und Lockdowns so seine Bedürfnisse und die müssen befriedigt sein. Wenn man dem Kind also jetzt einfach ein einzelnes Kaninchen in einem 1,20m Käfig ins Zimmer stellt, um das Kind zu beschäftigen ist das gegenüber dem Kaninchen schlicht unfair. Kaninchen benötigen Platz zum Springen und Rennen und Sozialpartner (hier meine ich ausdrücklich ein zweites Kaninchen, bitte nicht die Kombination Kaninchen-Meerschweinchen; wenn nicht wenigstens jeweils 2 Tiere gehalten werden. Und so wie das Kaninchen hat auch jedes andere Haustier so seine Bedürfnisse, die bei der Anschaffung bedacht werden müssen. Und irgendwann wird der Lockdown und die Reiseverbote auch wieder vorbei sein, man sollte sich also dennoch über Urlaubsverpflegung Gedanken machen.

Während man bei Katzen und Kleintieren die Probleme aber eher in den langfristigen Haltungsbedingungen suchen wird, befürchten viele Tierschutzvereine und Hundetrainer, dass uns die Freude am neuen Haushaltsmitglied spätestens nach den ersten Lockerungen gerade bei den Hunden förmlich um die Ohren fliegen wird. Denn Hunde bewegen sich mit ihren Haltern in der Öffentlichkeit und von Hunden können auch Gefahren ausgehen. Und schlussendlich wird es auch keinen von uns überraschen, wenn ein Großteil der jetzt angeschafften Hunde und andere Haustiere nach Corona im Tierheim landen.

Sei es, weil sie nicht gelernt haben, allein zu bleiben und die Tierhalter keine adäquate Möglichkeit der Betreuung finden, wenn sie wieder an ihre Arbeitsstellen zurückkehren müssen oder weil sich in der Zwischenzeit Verhaltensweisen herausgebildet haben, die der Hundehalter während des Lockdowns nicht bemerkt oder nicht für voll genommen hat, die ihm aber jetzt auf die Füße fallen; wie z.B. eine schlechte Sozialisierung mit anderen Hunden; Leineziehen oder schlechte Grunderziehung. Das meiste davon kann man zwar auch später wieder gerade biegen, aber es ist ungleich schwerer einem einjährigen Hund beizubringen, von einer Beute abzulassen und sich stattdessen auf seinen Menschen zu fokussieren, als es das wäre, wenn man direkt im Welpenalter damit beginnt und Vorsorge trifft, dass der Hund gar nicht erst zum Jäger wird.

Leider gibt es unter den Menschen, die sich in diesen Zeiten einen Hund oder ein Tier anschaffen gefühlt extrem viele Ersthalter; also Menschen, die noch nie ein eigenes Tier oder einen eigenen Hund hatten. Per se ist das kein Problem, wenn man denn jemanden hat, auf den man bei Fragen zurück greifen kann. Und genau hier entwickelt sich eben doch ein Problem: Hundetrainer dürfen in vielen Regionen Deutschlands kein Training und damit keine Beratung anbieten und selbst Treffen mit anderen Hundehaltern beim Spaziergang werden eher kurz gehalten. Man hat also als Ersthundehalter derzeit tatsächlich ein Problem, wenn man ein Problem mit dem Hund hat oder ein aufkommendes Problem nicht rechtzeitig erkennen kann, weil einem die Erfahrung und das Fachwissen dafür fehlen.

Mittlerweile haben zwar viele Hundeschulen und Hundetrainer Online-Möglichkeiten geschaffen und auch ich berate bedingt telefonisch, aber gerade bei Problemverhalten ist das kein geeigneter Ersatz und man stößt schnell an die Grenzen. Denn aus der Beschreibung „Der Hund hat erst mit dem Schwanz gewedelt und dann zugeschnappt“ kann ich nicht ablesen, ob der Hund nun aus Angst geschnappt hat (um im nächsten Schritt den Auslöser herauszufinden) oder weil er eine Ressource oder sein Territorium verteidigt. Und in aller Regel kann mir der Hundehalter auch meine Fragen zum restlichen Ausdrucksverhalten in der Situation nicht korrekt beantworten. Das ist nicht die Schuld des Ersthundehalters; ihm fehlt halt einfach die Erfahrung. Im Zweifel kann ich aber eben nicht am Telefon erste Trainingsansätze besprechen und anleiten. Schlimmstenfalls würde ich einem Hund, der mir als selbstsicher beschrieben wurde, der aber eigentlich unsicher ist, eine weitere Einschüchterung durch ein noch bedrohlicheres Auftreten des Hundehalters zumuten, was dann ebenfalls in einer Steigerung des angstbedingten Verhaltens gipfeln würde. Ich muss mir also gut überlegen, wobei ich telefonisch unterstützen kann (insbesondere dann, wenn ich Hund, Halter und Lebensumstände bisher gar nicht kenne) und wo ich auf einen späteren Termin vertrösten muss. Mit allen Konsequenzen, die sich aus dem Nicht-Handeln in der Zwischenzeit ergeben.

Während also simple Grundübungen wie „Wie bringe ich meinem Hund bei, auf seinen Namen zu hören?“ bei einem Welpen noch gut per Telefon erklärbar sind, haben wir spätestens dann wenn es um „Verhaltensprobleme“ gibt, ein Problem. Leider werden aber die wenigsten Probleme besser, wenn man schlichtweg wochenlang nichts tun kann und keine Hilfe in Anspruch nehmen kann, weil sich das Land gerade im Lockdown befindet. Ein Hund hat eine kürzere Lebensspanne als wir und Verhalten kann sich ritualisieren und verfestigen. Ein ritualisiertes Verhalten lässt sich aber deutlich schwieriger ‚umbrechen‘ als eine „einmalige Sache“. Wer das nicht glaubt, darf gerne mal versuchen, eine Verhaltensweise in seiner Morgenroutine zu ändern. Also z.B. statt erst zu duschen vorher die Zähne zu putzen.

Hinzu kommt, dass der Neu-Hundehalter durch die geltenden Beschränkungen auch nicht die so wichtige Sozialisierungsphase nutzen und den Hund verschiedenen Reizen aussetzen kann. Eine Fahrt mit dem Kaufhaus-Fahrstuhl kann man halt nur machen, wenn das Kaufhaus geöffnet hat. Dasselbe gilt für Restaurantbesuche; Mitnahme in Geschäften, Kennenlernen verschiedenster Menschen (Kinder, Rollstuhlfahrer, Menschen mit anderem Gangbild, anderer Hautfarbe, mit und ohne Bart und und und). Das Resultat mit zum Teil sehr kräftigen, übermotivierten und dabei extrem unsicheren Junghunden haben wir Hundetrainer auch schon nach dem ersten Lockdown erlebt. Besonders, wenn man sich einen Welpen ins Haus holt, kann das Aufwachsen in einer reizarmen Umgebung zu lebenslangen Problemen führen (Stichwort: Deprivationssyndrom)

Auch nach dem jetzigen Lockdown rechnen wir mit einer Zunahme am Beratungsbedarf. Das ist natürlich aus finanzieller Sicht schön, denn auch bei den Hundetrainern reißen die Maßnahmen ein großes Loch in die Taschen (und tatsächlich hat ein großer Anteil keinen Anspruch auf ausreichende Hilfen von Bund und Ländern). Allerdings wissen wir alle, dass wir nur die Spitze des Eisberges in der Kundschaft begrüßen dürfen werden. Ein großer Teil der Neuhundehalter wird die Probleme verschleppen; teils aus Schamgefühl, teils weil das Verhalten aktuell als „noch nicht so schlimm“ erachtet wird. Und ein anderer großer Teil wird sich entweder selbst behelfen oder Hilfe suchen bei jemanden, der „schon seit 20 Jahren Hunde hält“ und der Meinung ist, einen Hund, der schnappt muss man „auf den Rücken legen“, egal warum der Hund geschnappt hat (Anmerkung: Selbst wenn der Hund tatsächlich schnappt, weil er seinen Hundehalter nicht ernst nimmt; ist die „Alpharolle“ wie man das auf den Rücken werfen auch nennt, nicht nur völlig veraltet, sondern auch der völlig falsche Ansatz und kann zu schlimmen Verletzungen des Hundehalters führen). Gleiches gilt für die Verwendung von E-Halsbändern, hier sprechen wir dann sogar von einem Verstoß gegen das Tierschutzgesetz.

Und dann gibt es noch einen weiteren, dritten Teil, der uns Hundetrainern und insbesondere den Tierschutzvereinen große Sorgen bereitet: Diejenigen Hundehalter, die sich früher oder später dazu entscheiden, ihren Hund wieder abzugeben oder ins Tierheim zu bringen. Wie lang ein Hund mit problematischen Verhaltensweisen im Tierheim sitzt und ob das Tierheim überhaupt die zeitlichen und/oder finanziellen Mittel hat, mit einem solchen Hund zu arbeiten und ihn wieder fit für die Vermittlung zu bekommen, ist schwer voraussagbar, einen Anhalt dafür kann man aber jetzt schon auf den Webseiten der Tierheime finden, wenn man sich anschaut, wie lang so mancher ‚Problemhund‘ dort schon lebt. Schlussendlich gibt es auch leider immer wieder Fälle, die bis zu ihrem Tode das Tierheim nur noch zum Spazieren gehen von außen sehen können – wenn überhaupt.

Es bleibt zu hoffen, dass die Neu-Hundehalter sich zum einen gut überlegen, welchen Hund sie sich ins Haus holen wollen (betrifft selbstverständlich auch die anderen Tierarten), zum anderen frühzeitig Hundetrainer kontaktieren, selbst, wenn aktuell keine Termine stattfinden können. Wenn es nachher wieder losgeht und plötzlich ein großer Run aufs Hundetraining ausbricht, kann es nämlich schnell zum nächsten Problem kommen – mehr Anfragen für Training als man zeitlich als Hundetrainer adäquat betreuen kann.

 

Geschrieben von: Tierservice Fehmarn

3. Februar 2021

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