Sicher hast du den Spruch „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ schon einmal gehört. Vielleicht hast du ihn sogar selbst schon benutzt. Im diesem Beitrag möchte ich einmal darlegen, was es mit diesem Sprichwort auf sich hat und warum dieser Satz pauschal, wie wir ihn heutzutage verwenden, nicht stimmt. Weder beim Menschen, noch beim Hund oder einem sonstigen Säugetier.
Woher kommt das Sprichwort?
Das Sprichwort selbst geht wohl auf eine Ansprache von Martin Luther zurück. Der sagte nämlich zu seinen Studenten „Was Hänsel nicht lernet, das lernet Hans auch nicht“. (Wusstet ihr, dass Hänsel eine Verniedlichungsform von Hans ist? Ich nicht – wieder was gelernt ;)) Allerdings ging es ihm wohl dabei eher darum, begreiflich zu machen, dass es sich in der Jugend wesentlich leichter lernt als im Alter. Dass das so ist, war bereits in der Antike bekannt und wurde dort auch schon so beschrieben.
Wie wir das Sprichwort heute verstehen
Heute wird das Sprichwort häufig so verstanden, dass man Dinge, die man im Kindes- oder Jugendalter nicht gelernt hat, ab einem gewissen Alter nicht mehr lernen kann. Viele Hundehalter nutzen den Satz zum Beispiel als eine Art Entschuldigung, wenn ihr erwachsener Hund ein Kommando nicht korrekt oder gar nicht ausführt. Erziehungsversuche macht man meist nicht mehr, schließlich kann ein erwachsener Hund ja nichts mehr lernen.
Lernen hat mit dem Gehirn zu tun
Tatsächlich ist es so, dass das Gehirn am besten lernt, wenn es noch ‚frisch‘ ist. Und was gibt es alles zu lernen für so einen kleinen Welpen. Man muss lernen, selbstständig zu atmen, die Temperatur zu halten, zu fressen, ohne sich zu verschlucken, die Sinnesorgane zu benutzen; man muss lernen, wie sich Gras unter den Füßen anfühlt und dass Schnee nicht gefährlich ist. An dieser unkompletten Auflistung erkennst du schon, dass ein Hundewelpe (und das gilt genauso für jedes andere Tier inklusive dem Menschen), schon vor dem ersten Sitz, Platz oder Fuß, einen unheimlichen Lernprozess hinter sich hat. Schließlich ist das Gehirn nicht nur dafür da, sich Signale und Regeln zu merken, sondern es steuert den gesamten Organismus. Tritt ein Welpe auf etwas Spitzes funken die Nerven an das Gehirn und das Gehirn funkt die notwendigen Informationen an die entsprechenden Muskeln zurück, damit der Hund den Fuß hebt und ihn woanders abstellt. Darüber denkt der Hund nicht aktiv nach, das passiert im Hintergrund. Dennoch würde es ohne das Gehirn als Schaltzentrale nicht funktionieren. Treten wir Menschen barfuss z.B. auf einen spitzen Stein, denken wir auch nicht aktiv darüber nach, der Fuß geht automatisch wieder hoch, gleiches passiert mit der Hand, wenn wir etwas Heißes anfassen. Das Gehirn ist also für viele, viele unbewusste Prozesse im Körper zuständig und lernt im Welpenalter mehr und mehr, auf die Umwelt zu reagieren.
Lernen in verschiedenen Altersstufen
Existenziell dafür ist, dass in bestimmten Altersstufen besonders viele neuronale Verbindungen geschaffen werden. Beim Hund sind diese Phasen besonders zwischen der 4. und 7./8. Lebenswoche (Prägungsphase) und zwischen der 8. und 12. Lebenswoche (Sozialisierungsphase). Je nach Rasse kann sich die Sozialisierungsphase auch noch länger erstrecken; aber das sind so die Kernwochen. In diesen Wochen passiert im Hundehirn unheimlich viel und es ist wichtig, dass die ganzen Nervenverbindungen ausreichend Reize zum Verarbeiten bekommen. Das Problem ist nämlich, das diese Nervenverbindungen sich wieder auflösen, wenn sie nicht mit Reizen gefüttert werden. Daher ist es wichtig, dem Hundewelpen in dieser Zeit viele unterschiedliche Reize anzubieten, im Idealfall soll er in dieser Zeit alles positiv kennenlernen, was später zu seinem Leben dazu gehört; also z.B. einen Spaziergang in der Stadt oder im Wald, eine Fahrt mit dem Fahrstuhl, Menschen in allen Altersstufen, Bartträger, Rollstuhlfahrer, Menschen mit anderen Aussehensmerkmalen etc. Genauso wichtig ist es aber, den Welpen nicht zu überfordern, denn das junge Gehirn benötigt viel Ruhe, um die ganzen Reize auch verarbeiten zu können. Ein Welpe in diesem Alter benötigt locker noch 20-22 Stunden Ruhezeit am Tag. Also lieber ein paar mal kurz auf solche Menschen treffen, als marathonmäßig in der Innenstadt stundenlang alle Menschen anquatschen und sie zum Knuddeln des Hundes nötigen.
Auch beim Menschen gibt es Entwicklungsstufen, in denen sich besonders viel im Gehirn tut – Kinder und Jugendzeit.
Lernen nach der Welpenzeit
Es ist mittlerweile erwiesen, dass auch nach diesen hochsensiblen Entwicklungsphasen noch gelernt wird. Wenn wir das mit uns Menschen begleichen, so ist man auch im höheren Alter durchaus noch in der Lage sich in Neue Programme einzuarbeiten, sich an neue Abläufe zu gewöhnen und ganz neue Fähigkeiten aufzubauen. In der aktuellen Corona-Krise beweisen wir jeden Tag, wie anpassungsfähig wir sind. Lernen findet also weiterhin statt. Es wird allerdings mit zunehmendem Alter deutlich schwieriger zu lernen. Von Vorteil ist man hier, wenn in den sensiblen Entwicklungsphasen viele Reize wahrgenommen und verarbeitet werden konnten, am besten noch positiv. Denn wenn das Gehirn etwas neues lernt, sucht es automatisch nach Ähnlichkeiten oder Gemeinsamkeiten zu Dingen, die es bereits früher gelernt hat. Verfügt man nun über einen größeren Vorrat an ‚Nervenverbindungen‘, weil diese früher gut gefüttert wurden, ist die Chance, dass man eine ähnliche findet, relativ groß. Hat man das nicht und die Nervenverbindung muss neu aufgebaut werden, ist das zwar grundsätzlich trotzdem möglich, es fällt dem Gehirn aber schwieriger (die biochemischen Begründungen hierfür erspare ich euch an dieser Stelle).
Ein älteres Gehirn lernt also langsamer, als ein junges Gehirn. Aber es lernt nach wie vor.
Bedeutung fürs Hundetraining
Für die Erziehung eines Hundes bedeutet das, dass auch ein erwachsener Hund durchaus neue Sachen lernen kann oder angewohnte Verhaltensweisen abgewandelt werden können. Trotzdem ist es nicht immer einfach. Zum einen, weil das Gehirn halt länger braucht, neue Verbindungen herzustellen, zum anderen, weil man häufig gegen bereits erlerntes Verhalten gegensteuert. Ist dieses bereits tief im Gehirn verankert und denkt der Hund also nicht über sein Handeln aktiv nach, arbeitet man sozusagen gegen einen erlernten Reflex. Und Reflexe zu unterdrücken ist schwer. Trotzdem lohnt es sich.
Ich hatte zum Beispiel mal eine ältere Hündin im Training. Sie flippte jedes Mal aus, wenn ihr ein Hund beim Spaziergang entgegen kam. Wann dieses Verhalten wirklich angefangen hatte, ließ sich bei der Anamnese nicht genau ergründen, es hatte sich aber bereits über mehrere Jahre generalisiert (der Hund war damals etwa 7, das Verhalten bestand seit mindestens 5 Jahren). Es dauerte einige Monate, aber es gelang uns, ein passendes Alternativverhalten aufzubauen und Stück für Stück soweit zu etablieren, dass die Hündin das Verhalten souverän bei Hundebegegnungen zeigte, auch bei geringer Distanz. Dass dieser Hund jemals Freundschaft zu einem anderem Hund schließen würde, haben wir als Ziel ausgeklammert; denn die Hündin hatte seit Jahren nur negativen Kontakt zu anderen Hunden; sie konnte aufgrund der ihr fehlenden Erfahrung auch nicht einschätzen, ob von dem entgegenkommendem Hund eine Gefahr ausging oder nicht. Das Ziel, dass man aber mit dem Hund entspannt durch die Stadt und auch an anderen Hunden vorbei gehen konnte – das haben wir erreicht.
Das Alter spielt nicht allein eine Rolle, der eigentliche Grund, warum es schwerer fällt, einem erwachsenen Hund etwas beizubringen, sind meist die bis dahin gesammelten Erfahrungen des Hundes.
Training von wirklich alten Hunden
Was aber ist mit dem Training von wirklich alten Hunden? Beim Training ist hier nicht nur der langsamere Lernprozess zu beachten. Es gibt durchaus weitere erschwerende Gründe, wenn ein Hund älter wird, die sich sowohl auf das Training neuer Sachen, aber auch auf das Abrufen eigentlich bisher problemlos ausgeführter Signale bezieht. Zum einen lässt beim älteren Hund die Sinnesleistung irgendwann nach. Mancher Hund sieht oder hört im Alter nicht mehr gut oder gar nicht mehr. Nicht wenige Hunde haben außerdem Probleme mit den Gelenken und führen Kommandos langsamer oder ungern aus, um Schmerzen zu verhindern. Und es gibt auch Erkrankungen, die im Alter das Lernen verhindern oder deutlich erschweren; z.B. Demenz. Das sind alles Dinge, die in die Trainingsplanung bei einem alten Hund eingeplant und stärker gewichtet werden müssen, als bei einem jüngere Hund.
Du möchtest deinem jungen, erwachsenem oder altem Hund etwas neues beibringen oder ein nerviges Verhalten abtrainieren und benötigst dabei Hilfe? Dann zögere nicht und melde dich bei mir. Zwar kann aktuell noch kein Präsenzunterricht stattfinden, aber oftmals kann man bereits telefonisch die ein oder andere Frage klären, du kannst evtl. nach Anleitung vorarbeiten und wenn dann wieder Termine stattfinden, hast du vielleicht schon eine gute Basis mit den ersten Trainingsschritten geschaffen und wir können gleich bei Schritt 2 oder 3 einsteigen.
Ich wünsche dir eine schöne Restwoche
Deine
Susann
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