Schattentage
Immer wieder werde ich um eine Arbeit beneidet. Weil ich meine Leidenschaft für Tiere zum Beruf gemacht habe. Oft höre ich, wie toll es sein muss, den ganzen Tag mit den geliebten Vierbeinern zu verbringen. Meist ist das auch so, an den meisten Tagen liebe ich meine Arbeit. Doch es gibt auch andere Tage – so wie gestern. Tage an der sich eine Hiobsbotschaft an die nächste reiht. Tage, an denen ich abends nicht nur körperlich sondern vor allem emotional erschöpft bin.
Tage an denen mittags eine Kundin anruft und mich um Rat bittet, weil es dem Hund seit einigen Tagen sehr schlecht geht. Der Hund, der schon seit Jahren regelmäßig zur Tagesbetreuung kommt, weil er nicht allein bleiben kann. Der Hund den ich selbst mit seinem Besitzer im Tierheim ausgewählt habe, nachdem er dort zum dritten Mal gelandet war, von Vorbesitzern im Zwinger allein gelassen, weil er in der Wohnung aus Panik alles zerstörte, wenn er allein gelassen wurde. Der Hund, der tatsächlich nicht einfach war im Verhalten, der aber irgendwie doch genau zu diesem Besitzer passte. Der Hund, der durchaus auch mal andere anpöbelte in der Gruppe. Nicht weil er böse war, sondern weil er alt war und nicht mehr so beweglich war. Der Hund, der seinen Platz unter meinem Schreibtisch hatte, wenn er in der Gruppe war; oder auf dem Flur, wenn die Gruppe an sich schon zu unruhig war, als dass er stressfrei in der Gruppe hätte mitlaufen können.
Genau dieser Hund war nun seit einigen Tagen schwer erkrankt. Man versuchte alles, vielleicht sogar mehr, als ich versucht hätte. Doch die behandelnde Tierärztin bereitete die Hundebesitzer schonend darauf vor, eine schlimme Entscheidung treffen zu müssen. Es ist nicht unüblich, dass sich Menschen in einer solchen Situation an mich wenden, besonders, wenn das Tier regelmäßig in meiner Betreuung ist. Und doch ist es immer wieder schwer, über dieses Thema zu sprechen. Zu hören, wie schlecht es einem Tier geht. Wie schlecht und ohnmächtig sich aber auch der Besitzer fühlt, weil er das Gefühl hat, nicht helfen zu können. Ich bin behutsam. Versuche mit dem Tierbesitzer gemeinsam abzuwägen, was sinnvoll ist und was ein unnötig verlängertes Leiden des Tieres nach sich zieht. Spreche mit dem Tierbesitzer darüber, was bisher versucht wurde und überlege, welche mir bekannten Methoden vielleicht noch unterstützend greifen könnten.
Doch wir sprechen auch über „es“. Ob es vielleicht doch die richtige Entscheidung ist? Ob es unausweichlich ist? Ich bin der Meinung, dass man als Tierbesitzer einem Tier ansieht, ob es noch Lebenswillen hat oder nicht. Doch was ist, wenn – wie in diesem Fall – das Tier noch Lebenswillen zeigt, der Körper aber nicht mitmacht? Bei Leo war es auch so. Er wollte noch, hätte noch durchgehalten, hätte die Schmerzen noch ausgehalten. Aber sein Körper…
Spätabends erhielt ich dann die Nachricht, dass der Hund über die Regenbogenbrücke gegangen ist. Schlafe gut, du „Charakterkopf“.
Die nächste Hiobsbotschaft kam mit der Post von meinem Anwalt: Die gegnerische Versicherung hat sich bisher nicht bzgl. der Schadensregulierung meiner Autoreparatur nach meinem Unfall gemeldet. Nach einer kurzen Frist sei es für mich möglich, mir zur Deckung er Reparaturkosten ein Darlehen aufzunehmen, sollte sich die Versicherung bis dahin nicht gemeldet haben. Und sofort setzt mein Kopfkino ein und mir stellt sich unweigerlich die Frage, warum ich ein Darlehen aufnehmen soll, um meine Autoreparatur zu bezahlen, liegt doch die Schuld recht eindeutig beim anderen Autofahrer. Mal ganz davon abgesehen, dass man als Selbstständiger ja so unheimlich einfach ein Darlehen bekommt. Nicht. Es war ja schon ein Krampf eine Finanzierung für das Auto zu bewerkstelligen, und das ist gerade mal ein halbes Jahr her. wer sollte mir jetzt schon wieder einen Kredit in Höhe von knapp 6000 € geben? Selbst wenn das Geld zügig durch die Versicherung zurück kommen sollte? Ich versteh es nicht und bete, dass sich die gegnerische Versicherung doch schnell noch meldet.
Kaum hatte ich diese Nachricht ausgeblendet, klingelte mein Handy und eine andere Kundin rief an. Sehr ungewöhnlich, dass sie mich am Donnerstag anruft, und so ging ich bereits mit einem unguten Gefühl ans Telefon. Ich sollte Recht behalten. In Tränen aufgelöst, berichtete sie, dass die ohnehin schon seit Wochen angespannte Situation daheim, heute eskaliert sei. Bevor sie noch genau erzählen konnte, was passiert ist, sagte ich ihr schon, sie solle sich mit dem Hund und seinem Futter ins Auto setzen und ihn mir bringen. Nun ist der Hund erst einmal bei mir in Pflege, damit sich daheim alles wieder etwas beruhigen kann. Erst einmal raus aus dem Stress für den Hund. Erst einmal alle zur Ruhe kommen, bevor Entscheidungen gefällt werden. In so einer eskalierten Situation kann man keine bedachten Entscheidungen treffen. So ist die Situation etwas entzerrt und alle können durchatmen. Auch der Hund, der sich hier wieder völlig normal verhält. Er bleibt die nächsten Tage hier. Aber über seiner Zukunft schwebt ein großes Fragezeichen. Ich versuche, erst einmal ihn zu entspannen und danach die Situation daheim zu beurteilen und zu helfen. Wenn es denn sinnvoll und von den Haltern gewünscht und machbar ist. Wir werden sehen.
Und so war meine Stimmung gestern Abend genauso grau, wie der heutige Himmel. Die Stimmung ist gedrückt. Nein, es gibt nicht nur gute Tage in meinem Business. Auch Schattentage. Und ich kann nur hoffen, dass die Sonne sich schnell wieder durchkämpft und die Wolken am Himmel verschwinden.
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