Corona und die Triage unter Tierischen Dienstleistern

 

 

Corona hat viel in unserem Alltag verändert, auch im Hinblick auf Haustiere. Es wurden sich im letzten Jahr viel mehr Tiere angeschafft, als in anderen Jahren. Manche Menschen suchten einfach Gesellschaft (oder einen triftigen Grund das Haus trotz Ausgangssperre verlassen zu dürfen), andere holten sich ein vermeintliches Beschäftigungsprogramm für die Kinder während der Homeschooling-Zeit ins Haus und wieder andere nutzten die Homeoffice-Zeit, um sich den teilweise schon jahrelang gehegten, aber immer wieder aufgeschobenen Wunsch nach einem Haustier zu erfüllen.

Im letzten Jahr schossen die Preise für Heimtiere ruckartig in die Höhe und die Herkunft der Tiere wurde immer undurchsichtiger, selbst für Mischlinge wurden (und werden immer noch) plötzlich vierstellige Beträge gezahlt und viele Züchter haben Wartelisten, die sie auch in den nächsten Jahren nicht ‚abarbeiten‘ können. Es wurde ‚gezüchtet‘ und verpaart, was das Zeug hält und auch die Anzahl der aufgedeckten illegalen Hundeimporte nahm deutlich zu – jeder wollte was vom Kuchen abhaben, die ‚Produktion‘ von Hunden und anderen Heimtieren lief auf Hochtouren. Das Ganze ohne Rücksicht auf Verluste wie z.B. Gesundheitsschäden für das Tier.

Nur ein paar Corona-Hunde-Geschichten…

Ich kenne Hunde, die mit 6 Wochen (!!) vom „Züchter“ abgegeben wurden mit der Drohung gegenüber den zukünftigen Hundehaltern, dass der Hund sonst an jemand anderen geht, wenn man ihn nicht sofort abholt.

Ich habe eine Familie kennen gelernt, die einen vermeintlichen Golden-Retriever-Mischlings-Welpen gekauft hatten – nur um nach ein paar Monaten feststellen zu müssen, dass sie einen halbwüchsigen Herdenschutzhund an der Leine hatten, den sie nun in ein Familienleben mit Kinder-Besuch zu integrieren versuchen.

beschlagnahmte Welpen

beschlagnahmte Welpen

Ich kenne viele Fälle von Menschen, die ihren Welpen bei der Abholung das erste Mal gesehen haben.

Mir sind auch Fälle bekannt, bei denen nicht mal bei der Abholung die Elterntiere oder Geschwistertiere und schon gar nicht die Aufzuchtsumstände begutachtet werden durften, sondern man nur den Welpen in die Hand gedrückt bekam.

Es gibt wahrscheinlich noch unzählige mehr solcher Geschichten…

Und so nachvollziehbar diese Geschichten auch sind (auch unsere Hundepension durfte in dieser Zeit kein Interessent betreten, Kennenlerngespräche fanden ausschließlich draußen statt), so haben sie doch gewaltige negative Konsequenzen nach sich gezogen, insbesondere für die neuen Tierhalter und noch mehr für die betroffenen Tiere.

Denn selbst, wenn die neuen Tierbesitzer schon so viele Kenntnisse hatten, dass Sie wussten, woran Sie z.B. einen guten Züchter erkennen können – mussten sie sich dabei doch auf die mündlichen Aussagen selbiger verlassen.

Bei Hunden kam ein weiterer erschwerender Punkt hinzu: Hundeschulen hatten entweder ganz geschlossen oder waren in ihren Arbeiten so eingeschränkt, dass sie der Masse der Neu-Hundehaltern nicht gewachsen waren. Noch vor ein paar Wochen erzählten mir Teilnehmer der Hundestunde auf dem Campingplatz Wulfener Hals, dass in ihren Heimatregionen immer noch nicht allzu viel läuft, was Hundeschulen angeht; zum Teil wurde mit Wartelisten gearbeitet, aber die Hundebesitzer wussten jetzt schon, dass sie in diesem Jahr keinen Platz mehr in den Kursen bekommen würden. Wir Hundetrainer sind halt auch nur Menschen und benötigen Zeit für die einzelnen Kunden aber eben auch für alles drum herum, wie Buchhaltung, Kursplanung und Selbstfürsorge. Simpel gesagt: Auch wir müssen mal Schlafen, Essen und uns Ausruhen, haben Familie und eigene Hunde und Tiere, die wir versorgen müssen.

Warum ist das Problem bei Hunden größer als bei anderen Heimtieren?

Das mag sich jetzt wie ein „Sonderstatus“ für Hunde anhören, aber in meinen Augen sind Hunde in der Haltung nicht wirklich vergleichbar mit anderen Heimtieren. Denn in der Regel werden Hunde in der Öffentlichkeit geführt. Sie begegnen dabei anderen Hunden, Menschen, Fahrradfahrern, Rollstuhlfahrern etc.

Und mitunter sind Hunde um einiges größer und kräftiger als das Kaninchen, was im Käfig sitzt. Das soll nun nicht heißen, dass das Kaninchen weniger wert ist oder kein Recht auf artgerechte Haltung hat (ein Käfig im Zimmer mit einem Kaninchen drin ist nicht artgerecht…) – aber es geht halt von dem Tier weniger Gefahr für unbeteiligte Dritte aus, als von einem Hund, der in der Öffentlichkeit geführt wird.

Dank der Schließung der Hundeschulen während Corona bzw. generell durch teilweise 100% Umsatzausfälle bei den Tierisch Selbstständigen besteht außerdem durchaus das Risiko, dass es hier auch in den kommenden Monaten noch zu einem Betriebssterben kommt, denn viele fielen durch das Raster der Hilfen von Bund und Ländern durch und mussten sich mit Krediten behelfen – doch diese müssen auch zurück gezahlt werden, zusätzlich zu den sowieso vorhandenen monatlichen Betriebs- und privaten Lebenshaltungskosten der Tierisch Selbstständigen. Andere haben sich in der Corona-Zeit einen Nebenjob gesucht, um die monatlichen Kosten zu stemmen, den sie jetzt vielleicht nicht schnell loswerden können oder sogar nicht loswerden wollen, weil die Sicherheit wertvoll ist in der immer noch unruhigen Zeit.

Wie haben also auf der einen Seite ein Überangebot von Kunden, auf der anderen Seite nur eine begrenzte Anzahl von Hundeschulen und Trainern. Wobei auch andere Tierisch Selbstständige einen Zulauf von Kunden erleben, den sie zum großen Teil nicht kurzfristig stemmen können. Für den ein oder anderen Tierhalter wird da die Wieder-Abgabe des Tieres ein recht attraktiver Lösungsansatz. Wenn man denn jemanden findet, der das Tier aufnimmt. Denn auch die Tierheime klagen über eine Welle von Abgabetieren, haben Wartelisten oder Aufnahmesperren verhängt. Ist die Verzweiflung beim Hundebesitzer entsprechend groß, sucht man sich dann eben andere Wege, die Tiere loszuwerden – aber das ist ein anderes Thema, was vielleicht mal einen eigenen Blogartikel verdient.

Was ist jetzt die Triage?

Zurück zur Triage. Zuerst einmal möchte ich das Wort erklären, falls du es nicht kennst. Das Wort Triage stammt eigentlich aus der (Militär)Medizin und bezeichnet den Vorgang, bei dem bei mehreren Verletzten und nur begrenzten Ressourcen ’sortiert‘ wird, wo welche Hilfe geleistet wird und wo im schlimmsten Fall nicht mehr geholfen wird, weil es keine Überlebenschancen für den Verletzten gibt. Kommt es zu so einer Situation wird dann anhand vorgegebener Triage-Regeln eine Reihenfolge festgelegt, in der die Verletzten behandelt werden. In gewisser Weise ist auch das aufgrund von Corona in Ländern und Krankenhäusern immer wieder vorgekommen, wenn man zum Beispiel entscheiden musste, welcher Patient nun das letzte Beatmungsgerät der Klinik erhält (nüchtern betrachtet).

In Tierärzte-Blogs habe ich schon häufiger über die „Kunden-Triage“ gelesen und ich sehe das tatsächlich auch in anderen Bereichen der tierischen Dienstleistung nach und nach kommen. Hierbei geht es tatsächlich aber eher selten um medizinische Aspekte, sondern viel häufiger um das Zwischenmenschliche. Wenn man als Dienstleister so viele Anfragen hat, dass man diese nicht alle ‚bearbeiten‘ kann oder möchte, wird man auf kurz oder lang selektieren müssen, wenn man sich nicht selbst überfordern und gesundheitlich schaden will. Nichts anderes passiert gerade: Tierisch Selbstständige wie Tierärzte, Tierheilpraktiker, Hundeschulen, Hundetrainer aber auch Hundepensionen werden meiner Meinung nach zukünftig immer mehr schauen, für welche Kunden sie ihre Ressourcen (oft genug ist das die eigene Schaffenskraft) einsetzen und auf welche Kunden sie lieber verzichten.

Auch ich nehme nicht mehr jeden Kunden an und habe in diesem Jahr sogar die Anzahl der Pensionsplätze bewusst reduziert. Theoretisch darf ich pro Vollzeitkraft bis zu 10 Fremdhunde aufnehmen. Dieser „Betreuungsschlüssel“ und die Kriterien werden vom jeweilig zuständigen Veterinäramt festgelegt, es gibt also mit Sicherheit auch Hundesitter, die mehr oder weniger Fremdhunde betreuen dürfen, aber 10 pro Vollzeitangestellten ist ein Wert der häufig zutrifft. Vor Corona habe ich das auch entsprechend ausgereizt.

In diesem Jahr jedoch habe ich mir selbst die Grenze von 5-6 Fremdhunden in der Hundebetreuung gleichzeitig gesetzt. Das hat zum einen den Vorteil, dass eine kleinere Gruppe insgesamt entspannter ist (ich habe ja kein großes Gelände, in dem die Hunde die meiste Zeit sich selbst überlassen sind, sie leben gemeinsam mit mir und meiner Familie im Haus mit Garten), zum anderen ist weniger Wechsel in der Gruppe, weil sich viele Hunde kennen und ICH viele der Hunde kenne und gut einschätzen kann, ob sie in die Gruppe passen.

Auch zur Ruhe kommen die Hunde in einer kleinen Gruppe leichter. Und wenn man dann doch einmal einen etwas unruhigeren Kandidaten hat, fällt es ihm leichter, sich an den anderen zu orientieren, wenn er keinen hat, den er mit seiner Unruhe anstecken kann.

Und auch das Spazieren gehen klappt in einer kleineren Gruppe einfach besser, bzw. habe ich dann mehr Zeit, mich um die Hunde zu kümmern, die einfach noch mehr Unterstützung in der Erziehung benötigen – ohne selbst im Stress zu sein, weil zu Hause noch 5 andere Hunde warten, die auch noch raus wollen. Es ergeben sich also durch die Verkleinerung der Hundeanzahl einfach homogenere Gruppen

Es gibt auch Kunden und Interessenten, die ich von vornherein ablehne. Das kommt vor allem dann vor, wenn es in der Vergangenheit Schwierigkeiten bei der Zahlung von Leistungen gab oder diese Kunden müssen in Zukunft bereits vorab die komplette Leistung bezahlt haben. Das ist ärgerlich für den Kunden, aber für mich ist es eben genauso ärgerlich, wenn Plätze gebucht werden, ich anderen diese Plätze absage und die Hunde dann ohne Absage nicht gebracht werden.

Genauso behalte ich mir vor, Kunden abzulehnen, wenn es zwischenmenschlich gar nicht passt, wenn jemand sein Tier trotz angebotener Hilfe schlecht behandelt (wir sprechen hier z.B. von bewusster physischer und/oder psychischer Gewalt ggü. dem Tier), wenn Probleme eines Tieres „wegignoriert“ werden oder das Tier einfach nicht zum eigenen Angebotskonzept passt.

War es bei mir VOR Corona meist selbst in den Ferien kurzfristig möglich, einen Platz zu bekommen, habe ich jetzt schon die ersten Buchungen für die Herbstferien 2022. Natürlich gibt es auch immer wieder mal kurzfristige Plätze – aber eine Garantie darauf gibt es eben nicht. Und wenn man am Freitag Abend feststellt, dass man für die Urlaubszeit ab Montag noch keine Betreuungsmöglichkeit für den eigenen schwierigen Hund hat, muss man ggf. eben damit rechnen keinen Platz mehr zu bekommen.

Kamen also VOR Corona häufig noch viele Anbieter auf wenige Kunden und die Anbieter nahmen sich selbst häufig (zugunsten des Tieres) zurück, um diesen einen Kunden für sich zu gewinnen, hat sich das Ganze jetzt gedreht und der Tierbesitzer muss sich bemühen, wenn er bei einer bestimmten Hundeschule oder Tierpension einen Platz ergattern will.

Beim Hundetraining passiert ähnliches: Ich bin mittlerweile bemüht Trainingstermine auch an anderen Wochentagen als Sonntags anzubieten, dennoch passiert es immer wieder, dass zwischen den Terminen von Kunden 2 oder mehr Wochen vergehen müssen, weil es anders nicht zu organisieren ist.

Zwangsläufig werden dadurch nicht mehr alle Tierbesitzer die Möglichkeit bekommen, ihr Tier für den Urlaub unterzubringen; an einem Hundetraining teilzunehmen oder sogar einen Tierarzt-Termin zu bekommen.

Und dieser Zustand bereitet mir Sorge. Der Tierärztliche Notdienst geht sowieso gerade vor die Hunde (die nächste Tierklinik mit 24-Stunden-Besetzung von hier aus gesehen ist mittlerweile 2 Fahrstunden entfernt!), nicht nur aufgrund von Corona-Maßnahmen und Folgen. Tierbesitzer bekommen schlichtweg häufig keine schnelle Hilfe mehr bei akuten Problemen. Das wiederum führt zu einer massiven Überforderung und entsprechenden Reaktionen der Tierbesitzer. Im Gegenzug dazu entstehen auch hier merkwürdige Angebote, insbesondere im nicht regulierten oder schwer kontrollierbaren Bereich, wie der Tierversorgung. Da schießen die Angebote von privaten Menschen für die Betreuung von Tieren wie Pilze aus dem Boden. Menschen, die oftmals selbst noch nie ein Tier gehalten haben, die keine oder unzureichende Kenntnisse von den Bedürfnissen, Krankheitszeichen, Kommunikation etc. der Tiere haben; Menschen, die sich nicht mit den aktuellen Forschungen beschäftigen und sich nicht weiterbilden…

Und als kleine Randnotiz noch: Etwa 95% der kurzfristigen Betreuungsanfragen bei mir kamen in diesem Jahr aufgrund solcher Geschichten zu Stande. Weil die Privatperson, die sich eigentlich um den Hund kümmern wollte, sich plötzlich als unzuverlässig herausstellte und die Betreuung doch nicht übernehmen konnte oder wollte. Etwa 75% dieser kurzfristigen Anfragen, haben auch bei mir keinen Platz mehr bekommen, weil die Plätze schlichtweg vergeben waren… Ärgerlich, wenn man wegen sowas, den Urlaub kurzfristig absagen muss.

Erste Tierheime melden Aufnahmestopps. Wohin also mit den vielen tierischen Problemen? Ich bin da momentan etwas ratlos, sehe aber skeptisch auf die nächsten Monate.

Wie siehst du das? Hast du vielleicht selbst schon die Erfahrung machen müssen, dass du keinen Termin bekommen hast oder vielleicht erst in einigen Wochen? Wie gehst du damit um?

 

Geschrieben von: Tierservice Fehmarn

12. November 2021

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